Wie innere Kritiker uns im Alltag beeinflussen: Mein Vortrag auf der größten internationalen Hypnosekonferenz (mit Audio)

Wer kennt es nicht? Man steht morgens auf, schaut in den Spiegel und sofort tauchen Gedanken auf wie: “Du siehst heute nicht gut aus.”

Oder während eines Meetings fragt eine innere Stimme: “Warum solltest gerade du etwas beitragen? Du hast doch nichts Wichtiges zu sagen.”

Solche Momente erleben viele Menschen täglich – sie sind Ausdruck innerer Kritiker, die uns abwerten, einschränken und kleinhalten. Diese inneren Stimmen sind oft nicht nur zufällige Gedanken, sondern sogenannte Introjekte.

Mein Vortrag in Las Vegas als Audio

In meinem Vortrag auf der größten internationalen Hypnosekonferenz habe ich darüber gesprochen, wie Introjekte entstehen und wie sie uns im Alltag beeinflussen.

Introjekte sind innere Anteile, die sich aus Erfahrungen und Prägungen entwickeln, oft in traumatischen oder emotional herausfordernden Situationen.

Ein Introjekt kann beispielsweise die Stimme eines kritischen Elternteils sein, die wir im Laufe der Jahre internalisiert haben. Diese Stimmen tauchen dann in alltäglichen Situationen auf und beeinflussen unsere Selbstwahrnehmung und unser Verhalten.

In meinem Vortrag habe ich gezeigt, wie wir diese Introjekte erkennen und sie in der therapeutischen Arbeit nutzen können, um Menschen zu helfen, diese einschränkenden Glaubenssätze loszulassen und ein freieres, selbstbestimmtes Leben zu führen.

Zusätzlich werde ich in diesem Blogbeitrag Material aus einer meiner Publikationen zu diesem Thema anfügen und den Audio-Mitschnitt meines Vortrags bereitstellen.

Veröffnetlichung: Die Pathologie von Introjekten in der Traumatherapie 

Was sind Introjektionen? 

Introjektionen sind Abbilder einer anderen Person in der Psyche eines Menschen. Diese können sowohl Personen sein, die einen guten Einfluss hatten (wie die liebe Oma), als auch Personen, die einen negativen Einfluss hatten (wie der aggressive Vater). Introjektionen erstellen dabei eine holographische Kopie des Verhaltens einer anderen Person in unserem Inneren. Dies führt dazu, dass wir unbewusst Verhalten, Gefühle, Welt- und Selbstbild dieser Personen kopieren. 

 

Wie äußern sich Introjektionen in unserem Leben? 

Introjektionen zeigen sich in unserem Alltag auf verschiedene Weisen, häufig über Gedanken, inneren Dialog, Sätze, die wir anderen gegenüber äußern, Stimmungen oder Handlungen.  

Negative Introjekte sind oft bewertend, pauschalisierend, generalisierend und beschäftigen sich am Ende des Spektrums oft mit Fragen von sein oder nicht-sein. Sie gehen von: „du bist dumm und wertlos und verdienst Strafe!“ bis zu „du bist ein Stück Scheiße, bring dich um!“ Sie treten in milderen Formen auch als limitierende Glaubenssätze, oder als innerer Kritiker auf, wobei es sich bei diesen häufiger um hoch kreative Adaptionen handelt als um Traumafolge. 

Ich selbst hatte lange Zeit ein Introjekt, das ein recht unangenehmes Verhalten meines Vaters kopierte. Mein Vater neigt dazu, laut und abfällig über andere Menschen zu sprechen, fast so, als glaube er, man könne ihn nicht hören. Zum Glück habe ich sein Verhalten nicht in derselben Art und Weise nachgeahmt, sondern dieses Gemeckere fand nur in meinem Kopf statt. Häufig, wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag die belebte Straße von meiner Praxis zum Bahnhof laufe, höre ich mich in meinem Kopf über ganz normale Menschen schimpfen. Eine Person steht einfach am Bahnhof, vielleicht wartet sie auf jemanden. „Na, was guckst du denn so doof!“, schallt es in meinem Kopf. Indem ich innerlich so schimpfe, übernehme ich auch die damit verbundenen Gefühle, sodass ich eine genervte Stimmung empfinde, als würde mich die bloße Existenz anderer Menschen stören. Es offenbart sich ein Weltbild, das ich als ich-dyston empfinde. 

 

Nicht-Pathologische Introjektionen 

Introjektionen, die aus einem gesunden und positiven Erleben heraus entstehen, enden immer in einer Identifikation. Wir nehmen eine andere, für uns bedeutende Person wahr, und es entsteht ein inneres psychologisches Abbild von bestimmten Aspekten dieser Person. Dieses Innenbild ist natürlich nur unsere subjektiv gefärbte Repräsentation der anderen Person, es kann sich von dem tatsächlichen Selbst- und Weltbild der Person unterscheiden. Im Anschluss kommt es zu einer Integration und Identifikation mit dem Erleben. Es wird zu einem Teil von ICH. 

 

Wenn ich z.B. in der Hypnosetherapie einen sehr charismatischen Lehrer erlebe, bemühe ich mich häufig, die Techniken und Methoden nachzuahmen. Dabei kopiere ich auch Phrasen, teilweise transkribiere ich ganze Videos und lerne entsprechende hypnotische Formulierungen auswendig. Dabei kopiere ich, ohne es zu beabsichtigen, weite Aspekte des Verhaltens dieses Lehrers. Entscheidend war vielleicht, wie ich mich gefühlt habe, als ich mich in einer Demonstration zur Verfügung gestellt habe. Die Selbstrepräsentanz bewertet nun diese Erfahrung, und da sie sich im Laufe der Ausbildung wiederholt, nimmt mein System an, dass so die Realität aussieht. So verhält man sich, spricht man, schaut man, betont man als Therapeut. Durch die Identifikation wird dieses Verhalten jetzt ein Teil von mir. Irgendwann bemerke ich vielleicht überrascht, dass auch außerhalb von therapeutischen Kontexten bestimmte Formulierungen und Betonungen, die ich intuitiv verwende, denen meines früheren Ausbilders entsprechen. 

 

Die Entstehung von Introjekten kurz erklärt 

Die Idee von Introjekten kommt ursprünglich aus der Psychoanalyse und wurde von der Gestalttherapie, der Egostate-Therapie, der modernen Traumatherapie und anderen Therapienverfahren, manchmal mit anderen Namen (EPK, Täterimitiernder Selbstanteil), weiterentwickelt. 

Ein Introjekt entsteht, wenn wir in einer traumatischen Situation etwas feindseliges empfangen. Z.B. die Mutter sagt: „Du bist doof!“, oder der Gewalttäter sagt: „Wenn du was sagst, bring ich dich um!“  

Wir erschaffen nun ein Bild von diesem Täter und wie er es sagt. Dieses Bild wandelt sich in einen Selbstanteil um. Häufig verändert dieser Selbstanteil dabei seine äußere Form, wandelt sich z.B. in einem Monster oder einen Drachen, o.ä. um.  

 

Kurze Begriffliche Abgrenzung 

Die Begriffe der Introjekte, die ich aus der Psychoanalyse übernehme, gelten allgemein als überholt. Sie beschreiben etwas, das von außen in das Innere geworfen wird. Heutzutage verstehen wir, dass diese Anteile keine externen Elemente darstellen, sondern vielmehr vom inneren System der Person selbst erzeugt werden. Obwohl verschiedene Therapieansätze nach einer zeitgemäßen Terminologie suchen, bleibt der traditionelle Begriff weit verbreitet und verständlich. 

 

  • Als Introjektion bezeichnen wir den Prozess der Aufnahme äußerer Bilder, mit einer darauffolgenden Integration und Identifikation. Es handelt sich also um positive Bilder 
  • Ein Introjekt ist eine Introjektion ohne Integration und Identifikation. Es handelt sich hier um ein negatives Bild.  
  • Ein Täterintrojekt ist ein Introjekt das sich über Vernichtungssätze äußert und häufig in einer Traumatisierung mit Shut-Down / Freeze Dissoziation entstanden ist. 

 

 

Was sind Introjekte? 

Introjekte/ Täterintrojekte (Psychoanalyse), path. Egostates (Egostate-Therapie), täterimitierende Agens oder Modi (Ellert Nijenhuis) oder EPK (strukturelle Dissoziationstheorie), bezeichnen alle in etwas dasselbe, nämlich einen Anteil, der eine Kopie des Weltbilds und des Selbstbilds eines Täters angelegt hat. Jetzt agieren sie gegen die eigene Person (ANP), andere Persönlichkeitsanteile (EPF) und andere Menschen (sogar Therapeuten) in einer dem Täter ähnlichen Art und Weise. Dies kann sich wieder nur in Gedanken äußern, aber auch bis zu grausamen Taten gegenüber anderen reichen. Täterimitierende Agens sind eine Haupterklärung für grausames, dissoziales Verhalten von Traumaopfern gegenüber anderen Personen und wie Traumaopfer selbst zu Tätern werden. 

 

Welche Aufgabe erfüllen Introjekte? 

Täterimitierende Agens entstehen durch die Beobachtung des Täters durch die traumatisierte Person. Die Übernahme des Selbstbildes (1. Personenperspektive) und des Weltbilds (3. Personenperspektive) entsteht, um das Verhalten des Täters vorhersagen zu können. Die Vorhersehbarkeit des Verhaltens kommt mit dem Ziel, sich an das Täterverhalten so anzupassen, dass man dem Täter nicht erneut zum Opfer fällt. Dadurch entsteht auch ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.  

Introjekte können, durch ihre Härte und Rigidität, auch positive Effekte im Leben von Menschen herbeiführen. Ich hatte einmal einen Klienten, der beruflich sehr erfolgreich war. Wie wir in der Therapie herausfanden, kam dieser Erfolg durch eine Vielzahl von inneren Antreibern und Hetzern. Ursprünglich beziehen die sich auf einen Vater, der dem Klienten als Kind nie Bestätigung geben konnte („Was, nur der zweite Platz? Warum bist du nicht Erster geworden?“). Die Erfolge seiner Arbeit, war er aber eben durch diese Antreiber nie in der Lage zu genießen. Es gab immer ein neues Ziel, dass erreicht werden musste, es gab nie Innere Ruhe. 

 

Was ist pathologisch an Introjekten? 

Bei Introjekten kommt es anders als bei positiven Introjektionen nicht zu einer Identifikation. Es wird nicht in der Synthese in das eigene ICH integriert. Dadurch behält das Introjekt sein eigenes Welt- und Selbstbild. Das des Täters. Das Introjekt fühlt sich daher jetzt häufig Ich-dyston an. 

Solange wir uns im unausweichlichen Einfluss des Täters befinden, agiert dieses Introjekt wie der Stauradar in einem Navigationssystem. Es leitet uns an den Launen des Täters vorbei, schützt also. Wenn der aggressive Vater wütend schaut, frage ich ihn lieber nicht nach Bindung oder einem Gefallen. Wenn der aggressive Vater gerade von der Arbeit nach Hause kommt oder Fußball schaut, darf ich ihn auf keinem Fall fragen, ob er mich morgen zum Sport fährt.  

Dieses Verhalten ist also an sich nicht pathologisch. Es ist evt. überlebenswichtig und schützt vor weiterer Traumatisierung. 

 

Wann und wie wird das Introjekt also pathologisch? Zuerst ist es pathologisch, dass dieses Introjekt sich als Emotionaler Anteil mit einem eigenen Selbst- und Weltbild in unserem Nervensystem gebildet hat. Dieses feindliche Selbstbild wirkt bereits pathologisch unterdrückend auf andere emotionale Anteile und Egostates, während wir uns im unausweichlichen Einfluss des Peinigers befinden. Was aber viel gravierender wirkt, ist, dass es sich nach unserer Befreiung und dem Erlangen scheinbarer äußerer Sicherheit, weiterhin mit diesem veränderte Selbst -und Weltbild gegen uns durchsetzt. Dies geschieht weiterhin mit einer Motivation von Sicherheit und Schutz (selbst in Situationen, die bereits sicher sind) aber auf Kosten von Freiheit, Kontrolle, Freude und Selbstbestimmtheit.  

Umso drastischer die Stimme und die Forderungen der Introjekte, um so größer die Verzweiflung im traumatischen Erleben. Manche Traumaopfer berichten darüber, dass sie an einem bestimmten Punkt aufhören mussten sich zu wehren, oder der Täter hätte sie umgebracht. Ein Introjekt kann zu extremen Maßnahmen greifen, um das Überleben des Opfers zu sichern. Dazu gehören auch Abwertungen und Erniedrigungen, die der des Täters in den schlimmsten Momenten gleichen. Diese Anschuldigungen wiederholen sich jetzt im Alltag des Patienten und setzen die Qual fort.  

Der Täter behält dadurch Einfluss. Er hat so starken Einfluss auf uns gehabt, dass wir selbst in Freiheit, vielleicht sogar nach dem Tod des Peinigers, immer noch unter seinem Einfluss stehen. Dies ist auch manchen Tätern bewusst und wird manchmal ganz bewusst als Methode mit dem Ziel der Introjektenbildung und Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen angewandt. 

 

Pathologische Introjekte sind immer Folge von Trauma und Dissoziation  

Introjekte entstehen durch traumatisches Erleben, dass durch Synthese nicht in ICH integriert werden kann.  Es kommt zur Abspaltung des Erlebten als emotionaler Selbstanteil, der zeitstabil in dem traumatischen Erleben feststeckt. Diese Agens organisieren sich mit dem Ziel, das System vor ähnlichen Gefahren in Zukunft zu schützen. Dies passiert durch Beobachtung des Täters und dem Erstellen einer holographischen Kopie der Reflexion des Täters.   

Häufig handelt es sich bei diesen Anteilen um fragile Anteile. Unter der harten Schale der Tätersimulation steckt also häufig ein verletztes Kind auf der Suche nach Sicherheit.  

Dieser Emotionale Anteil kann jetzt durch Trigger aktiviert werden und kommt so nach vorne. 

 

Was ist das Besondere an Täterintrojekten? 

Täterintrojekte unterscheiden sich von anderen Introjekten durch ihre Intensität und Entstehungsweise. Sie manifestieren sich oft als eine innere Stimme, die Themen wie Tod und Vernichtung thematisiert. Die dahinterliegende Botschaft dieser Äußerungen ist oft die Aufforderung zum Todstellreflex. Wenn einer Person Gewalt angetan wird, durchläuft sie verschiedene Stadien der Verteidigungs-Kaskade (Einfrieren, Flucht, Kampf, Angespannte Unbeweglichkeit, Erschlaffung, Ohnmacht). Täterintrojekte entwickeln sich ab der tonischen Immobilität (Bewegungsunfähigkeit) während der Schreckphase. 

 

Das bedeutet, die Kampf- und Fluchtphasen sind erfolglos abgeschlossen, der Täter hat das Opfer in seiner Gewalt und bedroht es lebensgefährlich, beispielsweise mit einem Messer am Hals. Weiterer Kampf könnte dazu führen, dass der Täter von seinem ursprünglichen Ziel abweicht (etwa Raub oder Vergewaltigung) und das Leben des Opfers beendet. 

 

Das Durchlaufen der Kampf- und Fluchtphasen ist durch eine Aktivierung des Sympathikus und eine massive Ausschüttung von Stresshormonen gekennzeichnet. Das Opfer ist erfüllt von Gefühlen der Aggressivität und des Hasses auf den Täter. Wird die tonische Immobilität (Angespannte Unbeweglichkeit) ausgelöst, übernimmt der Parasympathikus: Das Opfer wird bewegungsunfähig, Blutdruck und Puls sinken stark ab, es kommt zum Tunnelblick. Trotz des vollen Hasses, da die Stresshormone immer noch auf maximalem Niveau sind, darf sich das Opfer nicht mehr bewegen. 

Manche Opfer berichten, dass in dieser Situation eine innere Stimme auftritt: „Beweg dich nicht, sonst bringt er dich um!“ Dies markiert die Entstehung des Täterintrojekts. In der Folge gehen die Opfer in den Shut-Down (Erschlaffung), erleben eine Out-of-Body-Dissoziation oder fallen in Ohnmacht. Das Täterintrojekt entsteht also in dem Moment, in dem das Opfer voller Hass ist, den Täter töten möchte, aber gleichzeitig wie gelähmt ist. 

Das bedeutet, das Täterintrojekt hat durch den Befehl zum Todstellreflex das Leben des Opfers zum ersten Mal gerettet. Es wird fortan als zeitlich eingefrorener emotionaler Anteil nicht zwischen Trauma- und sicheren Situationen unterscheiden können. Die Überlebenden werden diese Stimme immer wieder hören – eine Stimme, die ihnen befiehlt, untätig zu sein oder den Tod zu wählen. Reagiert das Opfer nicht auf die Stimme oder wird die wahrgenommene Gefahr zu groß, kommt es zu Shut-Down oder Dissoziation.  

 

 

Abschließende Bemerkung 

Introjekte haben einen bedeutenden Einfluss auf die Freiheit und Selbstbestimmung von Klienten, bleiben aber oft unbemerkt. Die daraus resultierenden Auswirkungen reichen von Selbstabwertung über Therapiemisserfolge, die durch tief verwurzelte, einschränkende Glaubenssätze bedingt sind, bis hin zu extremen und unkontrollierten Verhaltensweisen. Obwohl die Arbeit mit Introjekten an sich nicht kompliziert ist, kann sie, wenn sie erfolgreich ist, einen wesentlichen Fortschritt in der therapeutischen Behandlung darstellen.